A. Sohn u.a. (Hg.): Ludwig von Pastor (1854–1928)

Cover
Titel
Ludwig von Pastor (1854–1928).


Herausgeber
Sohn, Andreas; Verger, Jacques
Erschienen
Regensburg 2020: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
440 S.
von
Heinz Sproll

In einer noch zu verfassenden kultur und sozialwissenschaftlich orientierten Geschichte der deutschsprachigen Wissenschaftler und Künstler, die im 19. und 20. Jahrhundert in Rom ihre Inspirationen und Prägungen empfangen hatten, dürfte der Historiker Ludwig von Pastor (1854–1928) einen herausragenden Platz einnehmen, nicht zuletzt, weil sein Oeuvre, besonders sein dezidiert katholisch bestimmtes Hauptwerk der Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, das ab 1886 in 16 Bänden und 22 Teilbänden erschien, nur im Kontext dieser Deutschrömer zu verstehen ist, sondern auch, weil Pastor von diesem kulturellen Netzwerk vielfältige Impulse erhielt und Spuren hinterliess.
Dies macht das zu besprechende Buch deutlich, das die Beiträge der interdisziplinären Tagung «Ludwig von Pastor (1854–1928): Universitätsprofessor, Historiker der Päpste, Direktor des Österreichischen Historischen Instituts in Rom und Diplomat» versammelt, die am 22. und 23. Februar 2018 am Römischen Institut der Görresgesellschaft und in der École francaise de Rome unter der Leitung von Andreas Sohn (Universität Paris XIII-Sorbonne) und Jacques Verger (Universität IV-Sorbonne) stattfand. Über die kultur- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen hinaus verfolgt dieses vorliegende Werk auch ein historiographiegeschichtliches Erkenntnisinteresse, das sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Beiträge zieht.
Gleich die von Sohn verfasste Einleitung zeigt nicht nur den Lebens- und Karriereweg des 1854 in Aachen geborenen, zur katholischen Kirche konvertierten Pastor, der ihn über Frankfurt und Innsbruck nach Rom führte, sondern auch die Genese seines umfangreichen Werkes und seiner bis nach Nordamerika reichenden akademischen Reputation in der communauté scientifique. So konnte er, dem als Katholik in der Kulturkampfzeit eine akademische Laufbahn in Deutschland verwehrt blieb, seine Karriere in Österreich machen, die ihre Krönung in Rom fand, wo Pastor seit 1901 als Direktor des 1881 gegründeten Österreichischen Historischen Instituts und ab 1921 als Gesandter der Republik Österreich beim Heiligen Stuhl bis zu seinem Tod 1928 wirkte. Im feingesponnenen Geflecht vatikanischer Beziehungen, mithin im Schnittpunkt von Wissenschaft, Diplomatie und Politik, wusste er sich sicher zu bewegen und erfuhr von den Päpsten Leo XIII., Pius X., Benedikt XV. und Pius XI. hohe Wertschätzung.
Im ersten Beitrag legt Thomas Brechenmacher den Fokus auf das Selbstverständnis Pastors als Gelehrten und auf die Kontroversen um sein durch die Wiedereröffnung des Vatikanischen Geheimarchivs durch Papst Leo XIII. 1881 und seiner Benutzung ab 1883 ermöglichtes opus magnum, das Pastor als dezidiert ultramontanen Gegenentwurf gegen Leopold von Rankes (1795–1886) Geschichte der Päpste, 1834–1836 und Ferdinand Gregoroviusʼ (1821–1891) Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 1859–1872 und gegen die Deutungshegemonie der kleindeutsch-preussischen Geschichtsschreibung konzipiert und redigiert hatte. Nach einer Phase längeren Vergessens scheint sich gegenwärtig, so Brechenmacher, ein erneutes historiographiegeschichtliches Interesse an Pastors Oeuvre anzubahnen.
Die akademische Laufbahn Pastors an der Alma Mater Graecensis (Graz) und Innsbruck untersucht Michaela Sohn-Kronthaler und seine Tätigkeit als Direktor des Österreichischen Historischen Instituts in Rom, das auch Amtssitz der Republik Österreich war. Andreas Gottsmann hebt zudem die diplomatischen Erfolge Pastors beim Heiligen Stuhl und zur Erhaltung des Österreichischen Historischen Instituts in Rom nach dem Ersten Weltkrieg hervor. Die weiteren Beiträge von Sergio Pagano und Christine Maria Grafinger beschreiben Pastors Zugang und Nutzung des Vatikanischen Geheimarchivs bereits 1879, also noch vor der offiziellen Wiedereröffnung, sowie den Nachlass Pastors in der Vatikanischen Bibliothek. Pastor nutzte dabei die Zuarbeit seiner Schüler, die vor Ort die vatikanischen Quellen abschrieben und handschriftlich festhielten, die Pastor dann für seine Darstellung interpretierte.
Der Mitherausgeber Jacques Verger deutet Pastors Erkenntnisinteresse so, dass seine Papstgeschichte die transepochale Treue der römischen Kirche zu ihrer providentiellen Sendung gegenüber liberalistischen und nationalreligiösen Anfeindungen gegen das Papsttum apologetisch und geistespolitisch im Kulturkampf der 1880er Jahre in Stellung bringen sollte. Der Beitrag Volker Leppins untersucht Pastors Darstellung der Kirche am Vorabend der Reformation. Dabei deutet er Pastors Primat der geistlichen Aufgaben des Papsttums vor der Wahrnehmung weltlicher Interessen als normative Antwort auf die Gefangenschaft der Päpste nach der Aufhebung des Kirchenstaats und des Patrimonium Petri nach 1870. Paradigma für dieses Konzept war, folgt man Leppin, die Gründung der Societas Iesu durch Ignatius von Loyola, dem im Unterschied zu den Reformatoren die Disjunktion von Spiritualia und Tem-poralia gelang.
Wolfgang Augustyn kommt bei der Untersuchung des Verhältnisses Pastors zu den Künsten zum Ergebnis, dass Pastor nach anfänglich normativ-religiösen Deutungen und Präferenzen, so zu Fra Angelico, erst nach längerem Lernprozess die Kunst der Renaissance und des Barock aus ihrem jeweiligen kulturgeschichtlichen Kontext zu historisieren wusste.
Olivier Poncet behandelt die Rezeption von Pastors Oeuvre in Frankreich, wo es zwar wertgeschätzt aber wenig zitiert wurde, Thoma OʼConnor in der anglophonen Welt, die erst nach Erscheinen des dritten Bandes seiner Papstgeschichte 1895 seine Fähigkeiten zu würdigen wusste, Paolo Vian in Italien, wo die Leistung Pastors im Zusammenhang mit der «Römischen Frage» durchaus anerkannt wurde, um aber ab den 1930er Jahren in katholischen und laikalen Milieus in Frage gestellt zu werden. Ludwig Vones untersucht dessen Rezeption in Spanien: In der dortigen Historiographie seit dem späten 16. Jahrhundert galt das Interesse besonders dem Verhältnis zwischen den Päpsten und den beiden iberischen Königreichen, so dass gerade dieser Aspekt in Pastors Werk in Spanien, welches erst zwischen 1911 und 1961 ins Spanische übersetzt wurde, in Kreisen unbedingter katholischer Orthodoxie hohe Akzeptanz, dagegen in laikalen Milieu Ablehnung fand. Vones kann durchaus annehmen, dass ohne die Papstgeschichte Pastors die spanische Historiographiegeschichte des 20. Jahrhunderts nicht zu verstehen ist.
In der Zusammenfassung betont Verger den wissenschaftsgeschichlichen Zusammenhang der von ihm mitherausgegebenen Studie zu Pastor mit den vorangehenden, auch von ihm und Sohn herausgegebenen Tagungsbänden zu Heinrich Denifle OP (1844–1905) und Franz Ehrle SJ (1845–1934) vor dem Hintergrund der Herausforderungen der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Hegemonie gelangten positivistischen Epistemologie. Diese epistemologische Herausforderung stellt Verger in den Zusammenhang mit den geistespolitischen Kämpfen um das Papsttum im Gefolge von Vaticanum I innerhalb und ausserhalb der Kirche. So hat Pastors Werk seinen normativ-kanonischen Rang in der Historiographie zwar verloren, bleibt aber «vielleicht unzureichend ausgeschöpft» (393) und historiographiegeschichtlich nach wie vor von herausragendem Interesse im Sinne einer «archéologie du savoir» (Michel Foucault).
Abschliessend wird man dem zu besprechenden Tagungsband die ihm gebührende Anerkennung nicht vorenthalten dürfen: Er trägt über diese Archäologie des Wissens hinaus dazu bei, dass Pastors monumentales Oeuvre erinnerungswürdig bleibt auch und gerade als Ausgangspunkt für eine im Lichte von Vaticanum II noch neu zu interpretierenden Geschichte der Päpste und des Papsttums, das trotz einiger temporärer Schattenseiten über seine unbestreitbare Bedeutung für die Geschichte des Abendlandes hinaus die Welt im Sinne einer Vergeistigung und Humanisierung geprägt hat.

Zitierweise:
Sproll, Heinz: Rezension zu: Sohn, Andreas; Verger, Jacques (Hg.): Ludwig von Pastor (1854–1928), Regensburg 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 451-453. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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